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Gefahrstoff-Komplex, Anwohnerschutz ausgehebelt

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7 Jahre 9 Monate her - 7 Jahre 8 Monate her #11210 von Redaktion
** This thread discusses the content article: Gefahrstoff-Komplex bei Braunschweig - Anwohnerschutz behördlich ausgehebelt **

 
Giftlager (Rohbau rechts) neben Biogasanlage (Baukran links) am 16.7.2016 Bild: Michael Gläser

Seit dem Chemie-Unfall im nord-italienischen Sevezo im Jahre 1976 wurde der Anwohnerschutz weltweit verbessert. Seither regelt die sog. Sevezo-Richtlinie, was wo unter welchen Bedingungen produziert und gelagert werden darf.

Dass der Sinn dieser Sevezo-Schutzbestimmungen von den zuständigen Behörden (Staatl.Gewerbeaufsichtsamt Braunschweig GAA sowie Baubehörde des Landkreises Gifhorn) verstanden worden ist, steht im Zweifel; beim Bau eines Gefahrstoff-Komplexes behördlicherseits nicht so richtig hinzusehen, steht für AnwohnerInnen in der Nachbarschaft nach ihren Erfahrungen im letzten halben Jahr fest.


Erste Akten-Einsichten bestätigen ihre Befürchtungen, sie haben sich zu einer Initiative zusammengeschlossen.


Erst kurz vor Fertigstellung veröffentlicht die Behörde die Genehmigung für ein Gefahrstoff-Lager


Vor den Toren Braunschweigs an der B 214, jeweils nur rd. 1 km von Hillerse (Landkreis Gifhorn) und Wipshausen (Lkr.Peine) entfernt wurde seit Ende letzten Jahres im Eiltempo ein Raiffeisen-Gefahrstofflager errichtet.


Nicht nur die nächsten Anwohner fragen sich, warum das zuständige Gewerbeaufsichtsamt Braunschweig (GAA) auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet und auch das Bauordnungsamt des Landreises GF auf der Baustelle nicht so richtig hinsieht (so fehlte bis Juni 2016 das vorgeschriebene Bauschild mit sog. Roten Punkt).


Beantragt worden waren Lagerkapazitäten von 576 Tonnen von "sehr giftigen, giftigen, brandfördernden oder explosionsgefährlichen Stoffen oder Gemischen" am 21.9.2015. Der vorzeitige Baubeginn erfolgte bereits am 10.12.2015, das war sogar noch vor Ende der Auslegungsfrist der Bauantrags-Unterlagen am 28.12.2015.

Seit dem 30.6.2016 hat das GAA die Genehmigung zur öffentlichen Einsicht ausgelegt und die sofortige Vollziehung angeordnet, also wiederum diese Eile noch vor Ablauf der Auslegungsfrist am 13.7.2016 und der Widerspruchsfrist am 15.8.2016.
Der Rohbau steht bereits seit Anfang Juni 2016, obwohl laut Hinweis des GAA z.B. noch keine geprüfte Statik vorlag (GAA, Hinweis vom 8.6.2016, Aktenz. BS 15-148)


 
Warum diese Eile?


Begründet wird die Eile durch erwartete Verschärfungen der Sevezo-Richtlinie für Gefahrstoff- und Störfallbetriebe noch in diesem Monat. Dadurch würden u.a. schärfere Schutzbestimmungen für Anwohner in Kraft treten. Dem wollen offensichtlich nicht nur die Betreiberfirma, sondern auch das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt Braunschweig mit vollendeten Tatsachen zuvorkommen.


In Wipshausen sind einzelne Anwohner nicht mal 1 km vom Gefahren-Gelände entfernt, auf dem sich auch noch zu allem Überfluss die Biogasanlage des Abwasserverbandes Braunschweig befindet.
Und auch dafür wurde vom GAA eine Erweiterungsgenehmigung für einen vierten Gas-Turm erteilt. Betroffene Anwohner haben sich jetzt zu einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen. Eine Bürgerversammlung wird vorbereitet.


 
Was bedeutete die neue Sevezo-Verordnung?


 Industrie- und Lageranlagen in denen große Mengen gefährlicher Stoffe verwendet oder gelagert werden, haben besondere Vorkehrungen zu treffen, um Störfälle zu verhindern.

Zum 01. Juni 2015 hätte die Störfallverordnung an die als Seveso-III bekannte Richtlinie 2012/18/EU angepasst werden müssen. Wesentliche Neuerungen dieser Verordnung betreffen die Umsetzung der CLP-Verordnung (GHS) und die erweiterten Informationspflichten bei der Beteiligung der Öffentlichkeit sowie ein verschärftes Überwachungs- und Sicherheitssystem, um ein hohes Schutzniveau zur Verhütung schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen und Begrenzung von Unfallfolgen, aber auch z.B. zum Schutz vor terroristischen Anschlägen, zu gewährleisten.


Knapp unterhalb der 200 Tonnen - Mengen-Schwelle

Für die Störfall-Einstufung spielt die 200 Tonnen-Grenze bei Gefahrstoffen eine wichtige Rolle; die Genehmigung des GAA bleibt nun mit 192 Tonnen knapp unter der 200 Tonnen-Marke, schließt aber eine spätere Erweiterung des Gefahrstofflagers nicht aus, denn die bauliche Kapazität bleibt weiterhin ausgelegt bei der dreifachen Menge - ganz so, wie in den Bauunterlagen eingereicht.


 Fehlerhaftes und Widersprüche im Genehmigungsverfahren:


* Das Sicherheitskonzept vom 18.9.2015 der Antragsunterlagen und der Sicherheitsbericht vom 13.2.2016 des GAA stammen vom gleichen Verfasser.
Das Neutralitätsgebot zur Prüfung der Unterlagen erscheint unterlaufen.


* Nicht berücksichtigt wurde die unmittelbar im Geländeverbund von ca.270x270 Metern vorhandene und aktuell noch ausgebaute Biogas-Anlage des Abwasserverbandes BS.
So wird dort im Westen des Geländes gerade ein weiterer Faul-Gas-Turm errichtet, diese Gemengelage wurde ausgeblendet.


 * Die in der Genehmigung als Sicherheitsbedingung genannte bzw. vorausgesetzte Entfernung der Wohnbebauung von 1.000 Metern wird unterschritten, das Wohn- und Geschäftsgebäude  Gifhorner Str.10 in 31234 Wipshausen ist nur rd. 900 Meter vom Gefahrenkomplex entfernt;


 
Bewertung: Die der Genehmigung des GAA vom 8.5.2016 zugrundeliegenden Bauunterlagen sind bezüglich der Prüfstatik unvollständig.
Die Sicherheitsbetrachtung, die zum Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung geführt hat, verletzt das Gebot der Neutralität und ist fehlerhaft hinsichtlich der Zugrundelegung für Anlagen von "bis weniger als 200 Tonnen" (für eine Kapazität von 192 Tonnen), da weiterhin die Bau-Kapazitäten der dreifachen Menge, nämlich 576 Tonnen, entsprechen, die als spätere Erweiterung zu einem späteren Zeitpunkt zu erwarten sind.

Korrekt wäre es, diese erheblich höheren Gefahrstoffmengen bereits bei dieser Genehmigung zugrunde zu legen.
Der Schutz der Wohnbevölkerung sowie der Natur wurde unzureichend berücksichtigt.
Letzte Änderung: 7 Jahre 8 Monate her von Redaktion.

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