Teil der Veränderung - Edward Snowden-Mahnwache 26. Juli 2013 um 18:59
Es ist 14.30 Uhr am Donnerstag, den 25.07.13.
Wir sind gerade in Braunschweig angekommen, schleppen unsere dreißig gebastelten Schilder mit der Aufschrift „Edward Snowden is a hero“ vom Auto zum Ritterbrunnen vor den Schlossarkaden. Die Sonne brennt. Wir überlegen, wo wir uns am Besten positionieren. Momentan sind wir zu zweit.
Es ist der Anfang unserer Mahnwache für Edward Snowden. Wochenlang dachte ich schon darüber nach, dass man irgendetwas veranstalten müsste, dass ich doch irgendetwas tun müsste, um meine Solidarität mit Ed Snowden zu bekunden und gleichzeitig meiner Empörung über das, was die USA, unsere Regierung mit uns veranstalten, Ausdruck zu verleihen. Ich wartete ab. Vielleicht auch in der Hoffnung, dass sich irgendeine größere Veranstaltung in Braunschweig auftun würde, irgendjemand, der mehr Ahnung davon hatte, als ich.
Aber es kam nichts. Ich wartete die ganze Zeit auf „irgendjemanden“ und musste feststellen, dass ich am Ende, „irgendjemand“ sein müsste, wenn ich wollte, dass etwas passierte.
Und ich denke, genau darum geht es im politischen Aktivismus. Es geht nicht darum, wie viel Ahnung wir vom Veranstalten einer solchen Aktion haben. Auch hier gilt die Parole „Learning by doing“. Es geht auch nicht darum, immer auf andere und auf den richtigen Zeitpunkt zu warten. Der richtige Zeitpunkt ist dann, wenn wir das Unrecht nicht mehr aushalten und wieso sollten wir nicht diejenigen sein, auf die die anderen warten, um sich uns anzuschließen? Politischer Aktivismus ist immer. Er ist in jedem von uns. Politischer Aktivismus bedeutet politisch aktiv zu werden, nicht passiv daneben zu stehen, einer von denen zu sein, die nur gucken und dann weitergehen.
Auch an diesem Tag haben wir sie wieder beobachten dürfen. Die vielen Menschen, die einfach vorbeigingen, die einen Bogen um uns machten, als hätten wir eine ansteckende Krankheit namens Politik. Dazwischen die, die für einen Moment stehen blieben, die irgendwie neugierig waren, aber doch nicht den Mut hatten, sich ein Schild zu greifen und sich dazu zu stellen. Auch wenn wir genug für alle hatten.
Inzwischen sind einige Freunde und Bekannte gekommen. Dazu ein paar Leute von der Piratenpartei, der Linken und der Bürgerinitiative. Die Stimmung ist gut, wir unterhalten uns viel. Nil und ich machen Fotos für das Internet und filmen. Alles soll dokumentiert werden, egal wie klein unsere Aktion ist. Sie soll den anderen, die noch kommen, Mut machen. Mir fällt zum ersten Mal ein Junge auf, der wohl extra für unsere kleine Aktion gekommen ist. Er schnappt sich ein Schild, stellt sich wortlos auf den Platz.
Kurz nachdem wir uns, weil wir inzwischen genug waren, auf dem Platz mit unseren Schildern positioniert hatten, hielt ich meine kleine Ansprache, die ich tags zuvor vorbereitet hatte. Ursprünglich wollte ich gar nichts sagen, weil es mich immer viel Überwindung kostet, aber nachdem mir von einem Aktivisten-Kollegen geraten wurde, es doch zu tun, schrieb ich schnell ein paar Zeilen zusammen. Im Nachhinein sollte sich dieser Rat als gut erweisen. Denn jedes Mal wenn das Mikrofon anging, egal ob ich etwas sagte, oder Peter Rosenbaum von der Bürgerinitiative in Braunschweig, erregten wir neue Aufmerksamkeit. Menschen blieben stehen, hörten einfach zu, oder filmten uns mit ihren Handykameras.
Ein paar Leute von uns übten sich immer wieder darin, junge Leute anzusprechen, die neugierig stehen blieben. Ein paar von ihnen konnten wir tatsächlich dazu bewegen, sich eine Weile zu uns zu stellen. Ich sprach eine Gruppe mit drei Jungen um die 16 Jahre an, die die ganze Zeit aufmerksam geschaut hatten. Ich sagte, sie sollten sich doch ein Schild schnappen und sich zu uns stellen. Daraufhin fragten sie mich, wer denn überhaupt Edward Snowden sei. Meine erste Nachfrage, ob sie denn die letzten Wochen keine Nachrichten verfolgt hätten, fiel ein wenig zu schockiert aus. Ich fragte mich, ob ich irgendwie zu viel erwartete von ein paar 16-jährigen. Ich klärte sie also darüber auf, wer Edward Snowden sei und weshalb wir hier stünden, aber ich musste schnell merken, dass sie sich weniger für Snowden als für mich interessierten. Frech fragte mich der eine, ob sie meine Handynummer bekommen würden.
Man könnte denken, dass all das gestern nur wieder eine weitere frustrierende Erfahrung in Sachen politischer Aktivismus war. Am Ende waren wir wohl nur um die 20 Leute, die dauerhaft ihre Schilder hochhielten. Viele Menschen gingen weiter, einige blieben stehen und gingen dann weiter. Die meisten hatten wie immer anderes zu tun in dieser Welt, in der jeder hauptsächlich mit sich selber beschäftigt ist. Shoppen in den Arkaden, oder in einem der Kaffees gegenüber von uns sitzen. In einer Welt des Konsums und des belanglosen Zeitvertreibs erscheint für viele selbst das Unwichtige als wichtiger als der eigene Kampf für die Freiheit und wichtiger als die Solidarität mit jemandem wie Edward Snowden, der unser aller Held sein sollte, der so viel für unser aller Freiheit getan hat bzw. für die Möglichkeit um sie zu kämpfen.
Aber ich könnte wohl kein so politischer Mensch sein, wenn ich nicht zeitgleich so idealistisch wäre, wenn ich nicht in allem etwas Gutes sehen könnte. Denn ich glaube, dass wir Menschen erreicht haben. Dass sie gesehen haben, dass es Menschen gibt, die sich für dieses Thema auf die Straße stellen, dass es Menschen gibt, die Grund genug in alledem sehen, um sich zu empören. Und so sollten wir den Erfolg unseres politischen Aktivismus nicht nur an der Zahl derer messen, die wirklich neben uns stehen, sondern daran, wie viel Aufmerksamkeit wir erregt haben. Dass wir vielleicht nicht viele waren, aber das wir waren und dass wir jeden Tag sind und sein werden.
Wir kämpfen eben nicht nur für uns. Wir kämpfen für alle. Mit der Hoffnung, dass sie sich uns eines Tages anschließen werden. Dass wir eines Tages viele sein werden.
Nein, ich bin wirklich positiv gestimmt.
Und vielleicht stellt dieser Absatz eine kleine Ergänzung zu meinem Text „Sei doch nicht sonegativ dar!“. Denn der Grund, weshalb ich all dem Positives abgewinnen kann, ist, dass das mein Spaß war. Dass das ein Teil des anderen Spaßes war, von dem ich sprach. Zuvorderst, weil ich mich für eine Sache eingesetzt habe, die mir wichtig ist. Weil ich Flagge bzw. in diesem Fall Schild gezeigt habe, wo andere immer noch dachten, es beträfe sie nicht. Weil ich Solidarität mit einem Menschen gezeigt habe, der wirklich ein Held für mich ist und weil ich finde, dass ihm davon noch viel zu wenig zu Teil geworden ist. Und als Nächstes, weil ich wirklich in der tiefe meines Herzens überzeugt davon bin, dass wir, egal wie groß oder klein unsere Aktionen sind, Menschen erreichen. Dass nicht jeder den Mut hat, selber aktiv zu werden und sei es nur in Form des Hochhaltens eines Schildes, ist etwas anderes. Aber ich glaube daran, dass wir den ein oder anderen mit dem was wir taten, zum nachdenken animiert haben. Und genau so hoffe ich, dass die bundesweiten Proteste am Samstag noch viel mehr Menschen erreichen, sodass es zu einem kontinuierlichen Umdenken und schlussendlich einer Macht der Vielen kommt.
Und zuletzt - und vielleicht ist das sogar der wichtigste Punkt – weil es tolle Menschen gibt. Weil ich es gestern einmal wieder erlebt habe, mich davon überzeugen konnte, nicht alleine mit meinen Ansichten und Werten zu sein. Weil es Menschen, wie den Jungen gibt, den ich nicht kannte, der nicht viel sagte, der sich aber ein Schild nahm und zwei Stunden stillschweigend an ein und demselben Platz stand und Edward Snowden seine Solidarität zeigte. Weil es Leute wie meine Freundin Nil gibt, die ihre freie Zeit opferte, um mit mir an einem Nachmittags dreißig Schilder zu basteln, die die ganze Aktion gefilmt und fotografiert hat, die mich einfach unterstützte, wo ich Unterstützung gebrauchen konnte. Weil es Leute wie André und Nicolas gibt, die mir ihre Anlagen vorbeibrachten, damit wir überhaupt gehört werden konnten. Leute, wie Philip, der auf den letzten Drücker noch die Anmeldung für mich bei der Stadt einwarf. Menschen, die mich mit ihrer Selbstlosigkeit an das Gute eines jeden Einzelnen glauben lassen. Und natürlich die anderen. Alle, die einfach vorbeikamen, die Solidarität zeigten und Unterstützung und Kraft mitbrachten. Sie alle machen Mut an eine bessere Welt zu glauben. Mit jeder netten Gesten, jeder schönen Unterhaltung und jedem Lächeln gestern, was ich für mich eingefangen und im Kopf abgespeichert habe.
Und so war es nicht entscheidend, ob wir 20 oder 200 Leute waren. Denn in Gedanken hat es sich angefühlt, als wären wir 2000. Als wären wir die vielen, die es für die Veränderung braucht.
An dieser Stelle möchte ich gerne einen Ausschnitt aus Keny Arkanas „Cinquieme Soleil“ zitieren:
Hör auf die Stille mit Frieden in der Seele
Dort findet sich das Licht, es ist wieder zu Hause
Die Wahrheit ist in uns, der Frucht der Schöpfung
Vergiss nicht deine Geschichte, nicht deinen Auftrag
Wir sind die letzte Generation, die noch alles ändern kann.
Das Leben ist mit uns, fürchte nicht die Gefahr
Also erheben wir uns, nichts mehr vergessen
Du kleiner Sternenstaub, fang an zu glänzen
Brüder und Schwestern alle, bilden wir wieder eine Kette
Wir sind nur ein im Fleisch getrenntes Ganzes
Finden wir die Freude wieder, die Solidarität, stehen wir auf.
Ich glaube wirklich, dass Veränderung im Kleinen beginnt. Und wir werden später sagen können, dass wir Teil dieser Veränderung waren.
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Angesichts dieses engagierten "Manifestes" von Anabel Schunke erscheinen die drohenden Strafen für Snowden und andere Whistleblower immer ungeheuerlicher.
Können wir denn schon froh sein, wenn Edward Snowden u.a. nicht gefoltert oder hingerichtet wird?
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