Westerwelles Falschaussagen - und der Aufstand der Besserverdienenden
Eine "spätrömische Dekadenz" ist lediglich unter der Klientel der FDP auszumachen, unter Arbeitslosen jedenfalls nicht, wie eine am Donnerstag in Berlin vorgelegte Vergleichsstudie der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) belegt.
www.oecd.org/document/27/0,3343,de_34968570_34968795_39760219_1_1_1_1,00.html
Deutsche Arbeitslose sind im EU-Vergleich kaum bessergestellt
Die Studie zeigt deutlichst, dass deutsche Arbeitslose im internationalen Vergleich kaum überdurchschnittlich bessergestellt. Von daher ist unser Staat keineswegs von Sozialleistungen überlastet. Im Gegenteil - Deutschland steht im Durchschnitt. Ihre finanzielle Absicherung liege
im Durchschnitt der 30 OECD-Länder, im europäischen Vergleich sei sie allerdings eher gering.
Wo sind dekadente Tendenzen?
Hingegen steht unser Land derzeit überdurchschnittlich freigiebig gegenüber Bankern, Finanzspekulanten und nachlässig gegenüber Steuerflüchtigen dar. In Deutschland warnen selbst die finanzamtlichen Behörden jeden "systemrelevanten" Steuerhinterzieher davor, dass bei demnächst eine Prüfung anstehen wird und rät ihm zur völlig straffreien Selbstanzeige.
Wenn sowas ein Hartz-IV-Betroffener täte, dann kürzte man ihm das Geld und eine Strafanzeige wegen Betrugs folgt auf dem Fuße. Soweit zur "Gerechtigkeitsdebatte um Lohnabstände" des Herrn Westerwelle.
Kaum finanzieller Anreiz durch Geringverdienste
Der Zwang zur Aufnahme von Beschäftigungen (Arbeit möchte man das nicht nennen!) und Jobangeboten, deren Verdienst gering, deren Arbeitszeiten eine überaus hohe Flexibilität verlangen und oft jederzeit kündbar ist, schafft weder für HartzIV-Bezieher noch für andere Arbeitnehmer Anreize. Im Gegenteil, stellen sie zumeist eine Existenzbedrohung dar, weil davon kaum einer eine Familie ernähren kann.
Geringverdienste schaffen bei Alleinerziehenden und Familien enorme Probleme
Besonders hart trifft es Alleinerziehende. Aber auch Familien haben darunter zu leiden. Alleinerziehende oder ein verheirateter Alleinverdiener mit zwei Kindern Einkommen müssen mehr als 60 Prozent des Durchschnittslohns erzielen, ehe das Nettoeinkommen merklich über dem Sozialtransfers liege. Darin seien Kosten für Kinderbetreuung und die Schwierigkeiten, in Deutschland einen Betreuungsplatz zu erhalten, nicht berücksichtigt. Und das scheint so gewollt, denn bereits zu SPD-Regierungszeiten wie auch derzeit unter der Regide der CDU/FDP-Koalitionsregierung wird die Ausweitung des Zeit- und Leiharbeitssektors mit Geringverdiensten sogar noch forciert.
Wer hat denn den "Lohn-Abstand" so verringert?
Nun kann Westerwelle prima nach dem angeblichen Lohnabstandsgebot rufen als auch Geringverdienende gegen Hartz-IV-Betroffene ausspielen. Wer darauf reinfällt, dem ist nicht mehr zu helfen. War es doch genau diese neoliberale Haltung, die uns neben der Finanzkrise auch zunehmende Arbeitslosigkeit, Stellenabbau von sozialversicherten Vollzeitarbeitsplätzen und Aufstockungsmodellen beschert hat, die uns allen genau dieses geringe Einkommen zugunsten der Unternehmer befürwortet hat.
Nun aber den Geringverdienern und Aufstockern weiszumachen, dass sie gegenüber den Hartz-IV-Beziehern "zu wenig" verdienen, ihnen aber keine höheren Einkünfte zu ermöglichen bzw. diese sogar zu bekämpfen, um dann offenbar den Hilfebedürftigen noch weniger Arbeitslosengeld zukommen zu lassen, das ist Dekadenz par excellence.
Gestern gab es dazu einen sehr anschaulichen Beitrag vom "Politischen Aschermittwoch" der FDP, wo sich Mitglieder zu Westerwelles "Hartz-Debatte" äußern sollten. Die FDPler - teilweise feist, dümmlich und teilweise nicht in der Lage, das was ihr Chef bundesweit zu verkünden wusste, zu erklären. Stattdessen tumbe Reden gegen Arbeitslose (die sie ja morgen selbst sein könnten!) und sich als "Leistungsträger" fühlend.
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daserste.ndr.de/panorama/
Deutschland konzentriert sich zunehmend auf geringfügige Beschäftigung
„Das sehr hohe Armutsrisiko der Alleinerziehenden (...) ist vor allem die Folge einer ausgesprochen geringen Erwerbsbeteiligung“, kritisierte OECD-Experte Herwig Immervoll. Ein Grund sei, dass Anreize - etwa in Form von Freibeträgen im Arbeitslosengeld II oder der Mini-/Midijobs - in Deutschland vor allem auf geringfügige Beschäftigung konzentriert seien. Zudem hätten Geringverdiener eine relativ hohe Steuer- und Abgabenlast. Und auch das ist prima so. Denn wer profitiert davon? Weder Arbeitslose noch geringverdienende Erwerbstätige!
Vollzeitarbeit wird immer mehr zurück gefahren, Sozialversicherungen zunehmend demontiert. Jeder soll sich selbst der Nächste sein. In Zukunft soll jeder sehen, wie er alleine klarkommt und das wird nicht funktionieren, weil in Zukunft unser Arbeitsmarkt eine grundlegende Reform bräuchte, denn Vollarbeit ist kaum noch möglich, auch wenn man daran festhält und uns das täglich vormacht.
Andere schaffen mehr Anreiz
„Einige OECD-Länder schaffen es, eine relativ großzügige finanzielle Absicherung mit hohen finanziellen Anreizen zur Arbeitsaufnahme zu kombinieren.“
Die Realität geleugnet für Klientelpolitik
Nach Angaben der OECD sind in Deutschland Familien mit Kindern und Alleinerziehende bei Arbeitslosigkeit im internationalen Vergleich bessergestellt als Singles oder Paare ohne Kinder. Und auch das ist so gewollt. Daran hat vor allem die konservative Haltung der Christparteien einen gehörigen Anteil. Die Familie als angeblicher "Kern" der Gesellschaft sieht heutzutage anders aus als zu seligen früheren Zeiten. Aber das will die Union einfach nicht wahrhaben. Stattdessen fördert sie eine "intakte, heile" Familienidylle, die kaum noch der Realität entspricht. Scheidungen sind an der Tagesordnung, zerrüttete Familienverhältnisse weden sozusagen gerade durch die soziale Misére und nicht ausreichende Bildung befördert. Die Menschen haben Angst und leiden unter Existenznöten, die jetzt auch noch durch Westerwelle geschürt wird, in dem er frechweg unterstellt, das Sozialsystem sei nicht mehr tragbar und die Arbeitslosen fräsen unsere "arbeitende" Gesellschaft auf.
Geringverdiener liegen im unteren Drittel der OECD-Länder
Die Situation für Geringverdiener ist also extra so geschaffen, um die Unternehmen zu "entlasten": Hier liege der deutsche Lohnersatz im unteren Drittel der OECD-Länder. Geringverdiener mit Kindern, die ihren Job verlieren, seien dagegen im OECD-Vergleich durchschnittlich etwas besser abgesichert. Relativ gut sei die Absicherung bei Paaren, wenn ein Partner noch arbeitet. Genau, und auch hier ist erkenntlich, dass das Unions-Familien-Modell wirken soll. Bände sprechen auch die Unionsmaßnahmen wie Elterngeld (für gutverdienende Paare mit Kindern!), Heimprämie (für alle, die zuhause bleiben und ihre Kinder fernab von Bildungsinstituten betreuen) etc. Es wird Zeit, die familiäre Realität zu betrachten, als Fantasiemodelle, die immer weniger so leben, zu fördern.
Langzeitarbeitslose ohne Kinder schlecht gestellt
Auch hier zeigt sich, dass die Förderungen vorwiegend auf Familien mit Kindern zugeschnitten wurden. Praktisch - weil es zukünftig immer weniger dieser Art Familien geben wird, da muss auch weniger Fördergelder ausschütten.
Bei Langzeitarbeitslosen seien in Deutschland Singles oder kinderlose Paare im internationalen Vergleich schlechter gestellt als Alleinerziehende oder Familien mit Kindern, zeigt die Studie. Ein alleinstehender Durchschnittsverdiener erhalte nach fünf Jahren Arbeitslosigkeit 36 Prozent der früheren Nettobezüge. Damit stehe Deutschland auf Platz 14 und nur knapp über dem OECD-Schnitt.
[b|Andere Arbeitsfelder erschließen und Mindestlohn[/b]
Daher müssten zukünftig Überlegungen getroffen werden, dieser Tendenz Einhalt zu gebieten, den Arbeitsmarkt ökologischer und gemeinnütziger auszurichten, damit möglichst viele von ihm profitieren können, statt diese existenzbedrohenden Modelle weiter zu fahren oder zu bedienen. Desweiteren wären Mindestlöhne derzeit zu debattieren, dann fiele die WesterWellenmacher-Debatte um Lohnabstände schon mal weg...
schließt Ulensp
egel