Wer eine Befragung der Braunschweiger Bürger zum Ausbau des Stadions - nicht, wie hier nachträglich einige Fans betonen zu einer "Modernisierung" durchführt, dem müsste klar sein, dass einige Bürger doch noch mal genauer nachfragen, was genau mit dem gezahlten Geld passiert und auch, dass die aufgebrachten Mittel auch an anderen notwendigen Stellen gebraucht werden.
Auch wenn es die Fans jetzt ärgern mag, OB und entscheidende Fraktionen oder Koalitionsparteien haben es versäumt, im Umfragebogen von Modernisierung zu sprechen. Es ist von Ausbau die Rede.
Finanzierung von Schulen und anderen Projekten völlig unsicher
Wenn 2007 der OB mitgeteilt, dass allein zur Sanierung der Schulen in Braunschweig "mindestens 225 Millionen" nötig seien (Pressemitteilung der Stadt), dann ist doch völlig klar, dass sich Eltern, Schüler, Bildungsbeauftragte etc. Gedanken machen, ob denn finanzielle Mittel für Schulen nicht wichtiger sein könnten, als für Sportstadien. Auch wenn selbst in diesem Stadion diverse Vereine tätig sind, nicht nur der gewinnbringende Profisport und auch wenn da einige soziale Projekte stattfinden. Das Nachdenken, was mit den eingesetzten Mittel geschehen wird, ist für einen halbwegs informierten und mündigen Bürger normal. Da hilft es wenig, diese Nachdenkenden als Nichtsahnende, Fußball- und Braunschweighasser zu deklarieren und ihnen das Nachdenken zu verbieten, weil angeblich die Liebe zu Stadt und Stadion, zu Fußball und Spielerlebnis fehlen würde. In der Abwägung aller finanziellen Möglichkeiten liegt doch eigentlich die soziale ausgewogene Gesamtverantwortung, wenn man schon seine Stimme "abgeben" soll.
Von den angekündigten Finanzaufwendungen sind nach einer weiteren Pressemitteilung vom 4.11.2010 bisher knapp 38 Millionen aufgebracht worden, ein erheblicher Teil auch noch aus Mitteln des Konjunkturprogramms.
Es fehlen also nach wie vor über 175 Millionen Euro!
Das bedeutet, für Schulen und soziale Projekte fehlen sie weiterhin.
Und angesichts der jetzt aufgetau(ch)ten Schlaglöcher stehen weitere Finanzlöcher an, mit denen wir unsere ebenfalls überaus wichtige Infrastruktur nicht mehr halten können. Auch das kommt belastend hinzu. Stattdessen können wir dann mit einem moderneren Stadion prahlen. Ein Irrwitz!
Privatisierung bei Schulen? Staatsgelder für Fußball?
Nun sollen in den Jahren 2011 bis 2014 über 122 Millionen ausgegeben werden (laut Pressemitteilung vom 4.11.), inzwischen hat der OB diese sogar auf 156 Millionen steigend angekündigt. Allein 70 Millionen aber sollen
von privaten Kapitalgebern "beigesteuert" werden. Ob das überhaupt zustande kommt, wird aber erst
nach der Bürgerbefragung geklärt. Damit sollen Bürger einfach nach Glaubenslage abstimmen. Wo herrscht hier also eine konkrete Faktenlage über die Schulfinanzierung? Wollen wir die private jedoch höchst unsichere und unklare Finanzierung zur Sanerung maroder Bildungseinrichtungen wählen und gleichzeitig zugunsten einer gesicherten Steuergelderfinanzierten eines Stadions entscheiden, was u.U. zu einer Unterfinanzierung unserer hiesigen Schulen führt? Von daher halte ich die Frage "Schulen oder Stadionausbau? für durchaus berechtigt, auch wenn nun immer behauptet wird, die Ausgaben für den Stadionausbau hätten keinerlei Auswirkung darauf, ob für die Schulen genügend Mittel bereit gestellt werden.
Außerdem soll das Kapital für die ureigendste Aufgabe des Staates - nämlich die Bildung und dazu gehörende Ausstattung von Schulen - über ein PPP-Projekt eingebracht werden. Das sind also kreditähnliche Projekte und sie erhöhen die Verschuldung der Stadt, was wiederum zu Lasten unserer Nachkommen und Kinder gehen wird. Wer also im Stadion die paar Sozialprojekte, die VIP-Logen und behindertengerechte Toiletten dagegen setzen möchte, handelt hier doch sehr kurzfristig, wenn man den Schulbetrieb PPP-Projektierern überlässt. Sport und Vereine sind nicht alles, gute Bildung wird unsere Zukunft wohl weitaus mehr betreffen.
Dazu kommt noch, dass ab 2014 nach Angaben der Stadt sogar die Reserven aus den Privatisierungserlösen aufgebraucht sein werden (Pressemitteilung vom 13. Januar 2010). Dann müssen jährlich Verluste der Verkehrs AG und anderen städtischen Gesellschaften von um die 30 Millionen Euro aufgebracht werden, was eine weitere Verschuldung nach sich ziehen wird.
Weshalb keine Privatisierung bei Stadionausbau?
Über alle diese Tatsachen und Zusammenhänge muss nachgedacht werden und auch über die Wirkung, die die Verteilung finanzieller Mittel bewirkt. Nur weil der Sport einen recht hohen Unterhaltungswert genießt und teilweise auch im Stadion soziale Projekte durchgeführt werden, heißt das ja nicht, dass dafür allein Steuermittel aufgebracht werden müssen. Hier und in Verbindung mit dem doch recht profitorientierten Profisport böte sich gerade zu jene Privatisierung an, die unser OB liebend gerne für das Sanieren von Schulgebäuden vorzieht. Weshalb keine PPP-Projekte für das Stadion, weshalb nur Outsourcing von staatseigenen Aufgaben? Das macht stutzig.
Über die kommende Schuldenlage in Verbindung mit der privatisierten Sanierung unserer maroden Schulen aber, möchten weder Presse noch OB genauer und detaillierter hinweisen. Hier scheint es gut zu sein, die Bürger im Unklaren zu lassen und sie mit in den Chor der durch diese Befragung getäuschten Fans für die alternativlos scheinende Stadionfinanzierung zu manövrieren. Da stört Nachfragen und Nachdenken bloß.
Denn wie sollen die Bürger da erkennen, dass der OB, die CDU und die FDP mit dem Argument, die Sanierung der Schulen sei garantiert und der Ausbau des Stadions konkurriere damit überhaupt nicht, schlicht in falscher Sicherheit wiegen?
Sozialschwache im Fußball bestens aufgehoben?
Übrigens, auch wenn die Sozialschwachendichte nirgends so hoch sein sollte wie im Stadion, dann wird zukünftig das kurze Wochenendvergnügen beim Fußball nicht das aufwägen können, was vor und rings herum mit eurem Nachwuchs, eurer Bildungschance, eurer sonstigen Teilhabe, euren Chancen überhaupt, eurem Arbeitsplatz und eurer Wohnsituation während einer 7-Tage-Woche passiert. Sich allein nur auf den Fußball zu verkürzen ist für einen denkenden sozial engagierten Menschen und eines Menschen, der an seine Kinder und deren Zukunft denken sollte, schon etwas sehr einseitig. Was soll das für ein alleiniger Trost sein, wenn der Papa mit dem Sohne am Wochenende schöne Ablenkung beim Sport findet, jedoch die Woche über in sozialen Missständen lebt, so wie es hier von verschiedenen Fans bereits qualvoll wieder gegeben wird, dass der Sport ihre einzige Teilhabemöglichkeit und Freude - ja sogar Urlaubsersatz - sei. Kann ein modernes Stadion wirklich all das wettmachen oder müsste man statt sich allein auf Fußball zu konzentrieren weitaus politisch wirksamer handeln?
Wer sich in dieser Art nur auf Ablenkung mittels Fußball konzentriert und seine gesamte Energie derart einseitig einsetzt, gerät in Gefahr, andere, auch wichtige menschliche und soziale Potenziale zu vernachlässigen. Als Vater wäre weiter zu überlegen, welches Vorbild man mit dieser Haltung an seine Kinder weitergibt.
Gruß
Helmhut