Montag, 9. Mai 2011
402/2011
Erster Stadtrat Lehmann: „Braunschweig International“ würde von Demonstrationsgeschehen erdrosselt
Stadt untersagt fremdenfeindliche
Demonstration am 4. Juni
Die Stadt Braunschweig hat die für Sonnabend, 4. Juni, von 12 bis 20 Uhr angezeigte Demonstration mit dem Motto „Tag der deutschen Zukunft; ein Signal gegen Überfremdung – gemeinsam für eine deutsche Zukunft“ untersagt und dies dem Organisator heute, Montag, 9. Mai, mitgeteilt. Dies gab der für öffentliche Sicherheit und Ordnung zuständige Erste Stadtrat Carsten Lehmann bekannt. Die Untersagungsverfügung bezieht sich auch auf Ersatzveranstaltungen oder alternative Streckenführungen. Als wesentliche Gründe nannte Lehmann die zu erwartende faktische Erdrosselung des zeitgleich stattfindenden Festes „Braunschweig International“, das an diesem Tag sein 30jähriges Bestehen feiert, sowie den provokativen Charakter der angezeigten Demonstration.
Der Veranstalter hatte für seine Demonstration, zu der er rund 750 Teilnehmer erwartet, zunächst folgende Route angegeben: Bahnhofsvorplatz/ Berliner Platz – dort sollte eine Auftaktkundgebung stattfinden -, Kurt-Schumacher-Straße, John-F.-Kennedyplatz, Auguststraße, Stobenstraße, Ritterbrunnen/ Bohlweg mit einer Zwischenkundgebung auf dem Schlossplatz, Wilhelmstraße, Hagenbrücke, Küchenstraße, Lange Straße, Radeklint (mit einer zweiten Zwischenkundgebung), Güldenstraße, Kalenwall, Bruchtorwall, Lessingplatz, Augustorwall, John-F.-Kennedyplatz, Kurt-Schumacher-Straße und wieder zurück zum Hauptbahnhof, wo die Abschlusskundgebung stattfinden sollte.
Später nannte er als Alternative die Strecke Bahnhofsvorplatz/Berliner Platz (Auftaktkundgebung), Kurt-Schuhmacher-Straße, Auguststraße, Bohlweg/ Schloßplatz mit Zwischenkundgebung, Steinweg, Magnitorwall, Leonhardstraße, Leonhardplatz und Hauptbahnhof mit Abschlusskundgebung.
„Als zuständige Versammlungsbehörde hatte die Stadt nur die Aufgabe, die angezeigte Kundgebung strikt nach dem Versammlungsrecht zu bewerten, nicht nach ihrer politischen Ausrichtung, denn jede Demonstration unterliegt zunächst einmal der grundgesetzlich geschützten Versammlungsfreiheit“, sagte Lehmann. Die Versammlungsfreiheit zähle zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen des demokratischen Gemeinwesens. Dieses hohe rechtliche Gut könne nur dann eingeschränkt werden, wenn die Demonstration die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders als mit einem Verbot abgewehrt werden kann. „Dies ist hier der Fall“, erklärte Lehmann. Die grundsätzlich geschützte Versammlungsfreiheit habe dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechtes ergibt, dass dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist.
„Die Demonstration würde faktisch das Kulturfest ‚Braunschweig International‘, welches am selben Tag in der Innenstadt sein 30jähriges Bestehen feiert, verhindern und bei dessen Teilnehmern und Besuchern die Wahrnehmung von Grundrechten vereiteln“, führte Lehmann aus.
Bereits die Anzeige einer Versammlung mit einem fremdenfeindlichen Motto genau an diesem Tag stelle eine massive Provokation dar. Das größte multikulturelle Fest der Stadt mit Vorbildcharakter auch für andere Kommunen habe eine weit über die Stadtgrenzen hinausreichende Anziehungskraft und sei ein Zeichen für Integrationsanstrengungen und –erfolge in Braunschweig, wo 40.000 Menschen mit Migrationshintergrund aus mehr als 130 Nationen leben. Die angezeigte Demonstration könnte vor dem Hintergrund erwarteter gewalttätiger Auseinandersetzungen zum Teilnahmeverzicht von Veranstaltern bei „Braunschweig International“ führen. Das Fest lebe vom Engagement einzelner Menschen ohne Organisation im Rücken. Sie würden sich bei einem Jubiläumsfest bei ihren Vorbereitungen und Wareneinkäufen auf rund 10.000 Festbesucher einstellen, wenn keine Demonstration stattfindet. Andernfalls könnte das wirtschaftliche Risiko als zu hoch eingeschätzt werden, weil sie eine Gefährdung von Eigentum und Vermögen befürchten. Ein Rückschlag beim Engagement für dieses Fest könnte auf Dauer einen Schatten auf weitere multikulturelle Veranstaltungen werfen.
Auch die polizeitaktische Lagebewertung habe eine große Gefahr prognostiziert, die von dem Demonstrationszug gegen kulturelle Vielfalt ausgeht, sagte Lehmann. Gegner wie das „Bündnis gegen Rechts“ hätten bereits angekündigt, den Demonstrationszug blockieren zu wollen. Überdies seien zeitgleich weitere Versammlungen und Kundgebungen („Kein Fußbreit den Nazis“, und „Demokratie und Zivilcourage“) angezeigt worden. Aufgrund der gegenläufigen Streckenanmeldung der zeitgleichen Versammlung „Kein Fußbreit den Nazis“ würde bei ursprünglich angezeigter Versammlungsstrecke „Braunschweig International“ sogar doppelt umkreist.
Dies erfordere einen noch weit massiveren Polizeieinsatz als bei dem thematisch vergleichbaren NPD-Aufzug 2005. Es wären weiträumige Verkehrsabsperrungen der Innenstadt mit gravierenden Einschränkungen des öffentlichen Personennahverkehrs erforderlich. In letzter Konsequenz würde dies bedeuten, dass „Braunschweig International“ sowie die Innenstadt insgesamt aufgrund der erforderlichen polizeilichen Maßnahmen eingeschlossen und nahezu unerreichbar wären. Darüber hinaus müssten entlang der Demonstrationsrouten großflächige Absperrungen vorgenommen und Platz für die Bereitstellung von Polizeikräften reserviert werden, so dass das öffentliche Leben in weiten Teilen der Braunschweiger Innenstadt nachhaltig und über viele Stunden gestört wäre. Das hieße, viele Anwohner wären in ihrer Bewegungsfreiheit und Geschäftsleute in ihrer Tätigkeit wesentlich eingeschränkt.
Überdies würde der Hauptbahnhof als Start- und Zielpunkt in seiner Funktion für den öffentlichen Nah- und Fernverkehrs durch das Demonstrationsgeschehen fundamental beeinträchtigt. Gleiches gelte für die Alternativstrecke, die ebenfalls ihren Ausgang vom Hauptbahnhof nehme und besonderen Streckenschutz unter anderem im Bereich der Schlossarkaden und des Magniviertels erfordere. Der Zugang zu diesen Einzelhandelszentren würde massiv erschwert oder sogar verhindert. Zudem könne auf der Alternativstrecke das räumliche Trennungsgebot nach zwischenzeitlich erfolgten Demonstrationsanmeldungen zu gleicher Zeit nicht umgesetzt werden. Letztlich wäre zu erwarten, dass auch auf dieser Route aufgrund der notwendigen polizeilichen Sicherungsmaßnahmen im schlimmsten Fall ganze Stadtteile lahmgelegt werden könnten, wovon zehntausende Braunschweigerinnen und Braunschweiger und viele Geschäfte betroffen wären.
„Ein weiterer wichtiger Untersagungsgrund liegt in dem thematischen Kontrapunkt der fremdenfeindlichen Demonstration zu ‚Braunschweig International‘“, fuhr Lehmann fort. Er stehe konträr zu den Zielen, Visionen und Integrationsansätzen des Kulturfestes auf dem Kohlmarkt und würde Menschen mit Migrationshintergrund abschrecken, daran teilzunehmen. Vor dem Hintergrund des multikulturellen und kosmopolitischen Festes weise die Demonstration ein Gesamtgepräge auf, das sich mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert. Dies könne auf die Braunschweigerinnen und Braunschweiger provozierend wie einschüchternd wirken und Integrationserfolge relativieren.
„Diese Demonstration würde generell und insbesondere bei älteren Menschen traumatische Erinnerungen an die Schrecken des totalitären und unmenschlichen Gewaltregimes der Nationalsozialisten wachrufen“, führte der Erste Stadtrat aus. Vor allem die angezeigte Zwischenkundgebung auf dem Schlossplatz komme nicht in Betracht. Er sei 1931 Schauplatz eines SA-Aufmarsches mit über 100.000 Teilnehmern gewesen, der als Machtdemonstration Hitlers geplant und auch deutschlandweit wahrgenommen worden sei. Dort hätten auch weitere Aufsehen erregende nationalsozialistische Feiern und Aktionen stattgefunden. Der „Tag der nationalen Erhebung“ am 4. März 1933, die Bücherverbrennung oder die Einweihung des Schlosses als SS-Junkerschule seien nur einige Beispiele. Bei ihrer Eröffnung 1935 habe der damalige nationalsozialistische Ministerpräsident Klagges auf die historische Bedeutung des Schlossplatzes für die NSDAP hingewiesen.
Auch die Alternativstrecke führe an der Leonhardstraße an einem Ort von zeitgeschichtlicher Bedeutung vorbei, am „Schilldenkmal“. Es stehe für das Gedenken an Opfer der NS-Zeit. In unmittelbarer Nähe habe sich damals ein KZ-Außenlager befunden, in dem polnische, tschechische, slowakische und ungarische Juden unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit hätten leisten müssen.
Die Route vorbei an diesem symbolträchtigen Ort würde sowohl den Integrationsgedanken von „Braunschweig International“ untergraben als auch das Gedenken an das Unrechtsregime der Nationalsozialisten. Dies könnte gewalttätige Auseinandersetzungen provozieren und zur unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit führen.
Lehmanns Fazit: „In der Abwägung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit mit diesen anderen wichtigen Rechtsgütern blieb der Stadt als Versammlungsbehörde zur Untersagung der Demonstration keine Alternative.“
(siehe auch auf der Stadt-Homepage)
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Wasserwerfer, Gefangenentransporter und Tausende Ordnungshüter stehen bereit: Die Braunschweiger Polizei bereitet sich auf einen Großeinsatz am kommenden Wochenende vor. Grund ist ein geplanter Demonstrationszug von Rechtsextremisten am Sonnabend durch die Braunschweiger Innenstadt. Zwar hat die Stadtverwaltung den Aufmarsch bereits vor rund drei Wochen verboten – doch der Veranstalter, bei dem es sich um den Hildesheimer Neonazi Dieter Riefling handeln soll, versuaaaaaaacht derzeit, das Verbot gerichtlich zu kippen. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg will am Mittwoch seine Entscheidung bekannt geben, ob die für 750 Personen angemeldete Demonstration stattfinden darf. Als letzte Instanz könnten die Neonazis dann das Bundesverfassungsgericht anrufen, das noch bis Sonnabendvormittag über den Aufmarsch entscheiden kann...
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